Das Nagelboot – warum wir Orte des Mit-leidens brauchen

Das Nagelboot

Hallo!

“Wie gehts dir?“, “Wie läuft so?“, „Was  machste so?“ – alles typische Fragen, wenn man einen Bekannten/ eine  Bekannte trifft. Aber erwartest du wirklich eine andere Antwort als  „gut“, oder „muss ja“? Ich meistens nicht, ehrlich gesagt.

Was wäre, wenn mir jemand antworten  würde: „Beschissen gehts mir. Ich leide wie ein Hund. Ich weiß nicht  mehr ein noch aus. Mein Leben ist ein Trümmerhaufen.“?

Ich glaube, damit käme ich spontan gar nicht klar.

Wir sind es nicht gewohnt, über Not und  Leid zu sprechen … weder über unseres noch über das von anderen … wir  wollens lieber locker, leicht, lustig, schön.

Ist ja auch verständlich irgendwie. Aber so ist das Leben halt oft nicht.

Da sitzen wir alle in einem Boot.

1. Ein Wort zum Nachdenken

Hebr 4, 14 (NGÜ)  Weil wir nun aber einen großen Hohenpriester haben, der den ganzen  Himmel ´bis hin zum Thron Gottes` durchschritten hat – Jesus, den Sohn  Gottes – , wollen wir entschlossen an unserem Bekenntnis zu ihm  festhalten. 15 Jesus ist ja nicht ein Hoherpriester, der uns in unserer Schwachheit  nicht verstehen könnte. Vielmehr war er – genau wie wir – Versuchungen  aller Art ausgesetzt, ´allerdings mit dem entscheidenden Unterschied,  dass` er ohne Sünde blieb. 16 Wir wollen also voll Zuversicht vor den Thron unseres gnädigen Gottes  treten, damit er uns sein Erbarmen schenkt und uns seine Gnade erfahren  lässt und wir zur rechten Zeit die Hilfe bekommen, die wir brauchen.

2. Das Nagelboot

„Wir sitzen alle in einem Boot!“

Von Günther Uecker gibt es ein sehr eindrückliches Kunstwerk – das  Nagelboot (schau es dir hier:  http://pax-christi-krefeld.de/event/kulturforum-am-museumssonntag/  einmal an).

Mit den ganzen Nägeln kann es sicher nicht lange über Wasser bleiben. Und schon der Anblick tut weh. Wer will, wer kann denn darin sitzen?

Dieses Boot mit Nägeln wurde im Jahr 1980 für einen Kunstwettbewerb  zum Thema „Kreuz” geschaffen. Es sieht nicht wie ein herkömmliches Kreuz  aus. Aber zwei Holzbalken gehören doch dazu. Sie liegen mit zahllosen  Nägeln bestückt neben dem Boot. An der Wand darüber hängt das „Tuch der  Barmherzigkeit“. Es könnten auch die Balken und das Tuch für das Segel  sein …

Im Fall des Nagelbootes hat der Künstler speziell an die Menschen in  Mittelamerika gedacht. Die heutigen Maya sehen das Boot als Zeichen  ihres Volkes an. Unter ihnen hat der Künstler selbst geraume Zeit  gelebt. Ihnen hat er auch den Titel des Kunstwerkes gewidmet:  Chichicastenango. So heißt eine Stadt in Guatemala. Im jahrzehntelangen  Bürgerkrieg wurde Chichicastenango zum Synonym für die Schrecken von  Diktatur und Völkermord. Ungezählt sind die unschuldigen Toten bis  heute. Vor allem traf es die indigene Bevölkerung. Unter ihnen auch  viele Geistliche, sowie Mönche und Nonnen, die sich für Gerechtigkeit  einsetzten.

Christus wurde in Versuchung geführt wie wir, heißt es im  Hebräerbrief (4,15). Der Verfasser dachte dabei wohl an Jesu Leidensweg,  ans Kreuz. Geschrieben wurde der Brief in einer Zeit, in der  Christinnen und Christen bedroht wurden. Sie sollten trotz Bedrängnis  festhalten am Bekenntnis (Hebr 4,14 und 10,23) – festhalten auch an der  Überzeugung, dass Gott liebt und dass Versöhnung die Welt verändern  kann. Wie schwer ist das durchzuhalten, wenn die Unmenschlichkeit  überhandnimmt! Wie schwer ist das mit und in einem Nagelboot.

Aber: „Wir sitzen alle in einem Boot!“ – und sind gefordert Mitleiden  zu können, Mitleiden zu wagen, der Barmherzigkeit zu trauen. Wie  Christus, der Mitleid hat und mit gelitten hat (Hebr 4,15).

Das bedeutet aber auch: Das eigene Leid wahrnehmen und sich anderen damit offenbaren. Sich anderen zumuten. Mitleid erfahren.

Allein, sich in dieses Boot hineinzudenken, ist ja schon unangenehm.  Leiden, Schmerz und Ohnmacht sind schwere Erfahrungen, die menschliche  Allmachtsphantasien in Frage stellen. Darum schauen auch viele Menschen  weg. Sie ertragen es nicht, sich mit fremdem Leid zu beschäftigen.  Wollen dieses Leid nicht zugemutet bekommen. Oder sind der Meinung, dass  sie in ihrem eigenen Leben ein Recht haben auf Glück, auf Gesundheit,  auf Wohlstand. Es ist schwer, Leiden als Bestandteil des Lebens zu  akzeptieren. Und doch: „Wir sitzen alle in einem Boot!“

In der Passionsgeschichte Jesu steht das Leiden im Zentrum. Das eigene Leid. Das Leid der anderen. Und der Leidensweg Jesu: Sein Abschied von den Jüngern, der Verrat, seine Kreuzigung.

Jesus saß mitten im Nagelboot. Er hat sich sein Leiden anmerken  lassen. Hat Blut und Wasser geschwitzt, gezittert vor Angst. Jesus mutet  sich uns in der Passionsgeschichte bis heute zu in seinem Leid.

Leiden. Wenn der Leib von Schmerzen gequält wird, die Seele von Angst  und Sorgen zerfressen, wenn eine Beziehung zerbricht, eine  Arbeitsmöglichkeit gekündigt wird, ein Schicksalsschlag die Familie  getroffen hat, wenn Strukturen ungerecht sind, unterdrücken und und und.  Passion zerstört die Illusionen von einem heilen Leben.

„Wir sitzen alle in einem Boot!“ Das tut weh. Das sucht sich niemand  freiwillig aus. Die Versuchung ist groß, das Herz hart zu machen oder  wegzuschauen. Und für die, welche hinsehen, ist die Versuchung groß,  daran zu verzweifeln.

Und doch gilt die Einladung sich einander zuzumuten. Leiden  wahrzunehmen, auszuhalten – sich gegenseitig zu tragen, mitzuleiden und  von Gott getragen zu wissen.

Es braucht einen neuen Blick und ein neues Herz – einen Blick, der  gestärkt wird vom Mit-leiden Christi und ein Herz, das sich füllen lässt  vom Geist seiner Liebe.

Weil Jesus gelitten hat – unsere Qual und Schmerzen mit erlitten hat –  kann sein Leiden unseres berühren, wenn wir es zulassen. wenn wir es es  wahrnehmen und uns ihm zumuten.

Die Erfahrung des Leidens gehört zur Fülle des Lebens.

Die Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit des Lebens ist (nur)  auszuhalten mit der Hilfe Gottes. Weil Passion und Ostern zusammen  gehören, können sich Menschen im Leid bewegen, ohne sich darin zu  verlieren.

„Herr stärke mich, dein Leiden zu bedenken, mich in das Meer der Liebe zu versenken“, dichtet Christian Fürchtegott Gellert. Was für ein Bild für dieses Nagelboot. Es tut weh, darin zu sitzen und  es wird auf Grund der vielen Löcher wohl irgendwann kentern – aber wir  können uns in Gottes Liebe versenken. Liebe, die uns umgibt.

Und wie? Indem wir uns vom Leiden Jesu anrühren lassen. Jeder kennt Leiden aus seinem eigenen Leben. Mal mehr mal weniger schlimm, mal auf dem Rand des Nagelbootes, mal mitten drin.

Wo leidest du gerade? Wo fühlst du dich, wie im Nagelboot? Wem mutest du dich zu? Welchen Menschen? Wie Gott? Wo leiden andere in deinem Blickfeld? Wer sitzt mit dir im Nagelboot?  Dürfen sie sich dir zumuten? Wissen sie das? Kannst du mitleiden?

Wie nimmst du Jesu Leiden wahr? Lässt du es an dich heran, was da  geschehen ist? Darf Jesus sich dir zumuten mit seiner  Passionsgeschichte?

Und lässt du zu, dass sein Leiden auch deines berührt?

3. Tipp für die Praxis

Ist dein Mitarbeiterkreis ein Ort des Mit-leidens? Seid ihr euch dessen gewiss, dass ihr alle in einem Boot sitzt? Dürft ihr euch da gegenseitig einander zumuten, wirklich vorkommen mit  allem, das euch leiden lässt? Tragt ihr euch gegenseitig in der  Gewissheit, dass Gottes Liebe größer, stärker und wesentlicher ist, als  alle Not?

Ob ihr dazu in den nächsten Mitarbeiterrunden einmal bewusst Zeit  einräumt? Zum Austausch, zum Gebet füreinander, zum Mittragen und  gemeinsam in Gottes Liebe versenken?

Das wird eure Mitarbeitergemeinschaft vertiefen, euch miteinander helfen und eure Mitarbeit verändern.

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