Wer spricht schon gern übers Sterben oder macht sich darüber Gedanken, dass sein Leben bald vorbei sein könnte. Verdirbt das nicht den Spaß am Leben? Wir haben in der Corona-Pandemie als Familie gelernt, dass Todesangst durchaus produktiv sein kann. Dass die Beschäftigung mit dem Tod zu mehr Lebens-Bewusstsein führen kann. Und am Ende zu mehr Lebensfreude.
Lass uns über den Tod reden
Stell dir vor, ein/e Freund:in würde beim nächsten Treffen das Gespräch so eröffnen: „Lass uns mal über den Tod reden.“ Was würdest du sagen? „Ja klar, das ist ja ein wichtiges Thema.“ Wahrscheinlich nicht, oder? Vielleicht würdest du eher etwas erwidern wie: „Na, du bist jetzt aber nicht schlimm krank oder so was?“ „So alt bist du doch noch gar nicht!“ „Das Leben ist so schön, lass uns nicht über so was reden!“. Selbst wenn dein/e Freund:in wirklich krank und dazu noch alt wäre – deine Reaktion wäre wahrscheinlich trotzdem nicht anders. „Ach, das wird schon wieder. Das hat noch Zeit.“
Ist es nicht höchst erstaunlich, wie sehr wir den Tod verdrängen? Den eigenen genauso wie den von Menschen, die wir kennen. Dabei müssen wir ja alle einmal sterben. Das ist unausweichlich. Unser Fernsehprogramm zeigt uns das täglich genauso deutlich wie die Nachrichten aus aller Welt.
Der Tod gehört zum Leben. Aber ich habe den Eindruck, wir verhalten uns oft wie kleine Kinder, die sich die Hand vor die Augen halten und rufen: „Ich habe mich versteckt. Such mich!“ Wir schieben Gedanken und Gespräch über das Sterben und den Tod so weit weg, als ginge uns das alles gar nicht an. Aus Angst? Unsicherheit? …
Familienhorror Corona
Manchmal drängt sich die eigene Vergänglichkeit aber deutlich in unsere Gedanken: Im Frühjahr 2021 sitzen wir als Familie in Quarantäne, weil Sohn 01 positiv auf Corona getestet wurde.
Seit Beginn der Pandemie hatten wir alles dafür getan, dass genau dieser Fall nicht eintritt. Dass sich möglichst niemand von uns ansteckt. Nicht nur, weil wir an sich davon überzeugt waren, wie gefährlich so ein Krankheitsverlauf sein kann. Sondern vor allem wegen Sohn 02.
Sohn 02 hat das Kabuki-Syndrom und hat deswegen schon so einiges durch in seinem kurzen Leben. Niemand der Ärzt:innen kann eine tragfähige Prognose abgeben, wie sich eine Corona-Infektion auf ihn auswirken würde – „unkompliziert aber sicher nicht“. Eine Impfung ist wegen seines Alters nicht möglich …
Immer wenn mögliche „Problem-Szenarien“ auftreten, die Sohn 02 betreffen könnten, schießen uns Eltern die Erinnerungen in den Kopf. Bilder und heftige Emotionen zu den bisherigen Komplikationen, Krankenhausaufenthalten, Operationen und Leben, das immer wieder am seidenen Faden hing.
Deswegen war für uns klar, dass wir Sohn 02 und Corona deutlich voneinander trennen wollten. Dafür hatten wir so einige Einschränkungen in Kauf genommen und uns peinlichst an Abstands-, Lüftungs-, Händewasch- und Desinfizierregeln gehlaten. Und jetzt das.
Plötzlich hatte ich Todesangst
Aber mit einem Schlag trifft es mich emotional selbst. In mir kommt echte Angst auf. Nicht nur ein bisschen, sondern mich packt echt Panik. Todesangst.
In meinem Kopf rasen die Gedanken wild durcheinander: Was ist, wenn der Verlauf von Sohn 01 schlimmer ist? Was ist, wenn meine Frau sich ansteckt und …? Was ist mit mir? Ich bin zu schwer und breit. Ich bin vorerkrankt. Einige Bekannte in meinem Alter sind an dem Mist-Virus gestorben. … Aber meine Familie braucht mich doch. Und überhaupt: Ich will nicht sterben. Oder jemand meiner Lieblingsmenschen sterben sehen!
Ich brauche einige Zeit, bis ich mit dem Gedanken klarkomme, dass wir drei anderen uns mit Corona infizieren könnten. Und dass der schlimmste Verlauf dieser Krankheit auch den Tod bedeuten könnte. Ganz reell.
Lebensfreude dank Todesbewusstsein
Ich schäme mich ein wenig dafür, aber kann mich etwas mit dem Gedanken trösten, dass die Furcht vor dem Tod ja auch etwas Gutes hat: Sie zeigt uns den Wert unseres Lebens und der schönen kleinen Momente, die wir erleben. Die Angst vor dem Tod stärkt unseren Lebenswillen.
Das Beste daran: Niemand musste sterben. Sohn 01 hat sich schnell erholt und wir anderen haben uns (dieses) Mal nicht angesteckt.
Also ist es eigentlich fast so etwas wie ein Geschenk, wenn wir immer wieder in Situationen geraten, die uns die Endlichkeit unseres Lebens aufzeigen. Begegnungen mit Trauernden, Kranken, Alten, eigener Krankheit oder gefährlichen Situationen. Ein Geschenk, das uns das Leben neu aufmerksam wahrnehmen und genießen lässt. Und das uns gleichzeitig daran erinnert: Der Tod gehört zum Leben dazu. Leben auf der Erde ist endlich.
Das Geschenk auspacken: wie Lebensfreude den Alltag bestimmen kann
Ich habe mich in dieser Quarantäne neu gefragt: Wie will ich eigentlich leben? Wie wollen wir Familie leben? Wie will ich dem Tod begegnen? Wie leben wir mit dem Bewusstsein, dass es für Sohn 02 evtl. keine besonders hohe Lebenserwartung gibt? Und: Was gibt mir wirklich Halt – jetzt und am Ende meines Lebens?
Lass uns das Leben feiern und uns daran freuen.
Lass uns einander feiern und genießen.
Lass uns nach Momenten suchen, die Erinnerungswert haben – und sie ganz bewusst erleben.
Lass uns im Blick haben, dass Leben endlich ist und so mutig Entscheidungen treffen.
Lass uns an Jesus binden, weil das Leben so Ewigkeits-Perspektive bekommt.
Und das üben wir seitdem fleissig ein. Natürlich gibt es weiter Streit, Missverständnisse, Stress und Krisen. Aber wir haben festgestellt: Lebensfreude üben kann ziemlich Spaß machen und schafft wirkliche Genussmomente. Momente, in denen wir einfach feiern, dass wir uns haben und es jetzt gerade so wunderschön ist das Leben. Ganz abseits aller Umstände. Auch wenn sie mal wieder mit Infektion oder Quarantäne zu tun haben sollten.
Dieser Artikel ist Teil meiner Blogparade #familienhorrorcorona.
Was hast du in der Pandemie erlebt? Was hast du für dich daraus gelernt?
Lass uns das alles sammeln – und allen zur Verfügung stellen,
die mit Corona (oder anderen Krisen)konfrontiert sind.
Ich freue mich auf deine Geschichten und Tipps.
Ich rede offen über den Tod und just diesen Moment den wir sterben nennen. Das heißt, das „Gehen“ eines Menschen. Ob im Familienkreis oder auch viel im Beruf, ich habe diesen Moment oft miterlebt. Das letzte Ausatmen und das Loslösen der Seele. Der Körper wird spür- und sichtbar zu einer Hülle aus dem etwas ganz besonderes und geliebtes fast in Sekundenbruchteilen entschwindet.
Für mich ist das ein würdevoller und wichtiger Augenblick der mir Zuversicht und Hoffnung gibt auf eine Heimkehr zum Schöpfer.
Hey Kai,
das ist eine schöne Vorstellung.
Gruß,
Heiko