Unfassbar

UNFASSBAR

Freitag, mal wieder Arztbesuch wegen andauernder Nachwirkungen meiner Corona-Infektion. Bin maximal frustriert, weil niemand weiterführende Ideen mehr hat, außer viel Ruhe, kein Stress und Abwarten … klappt bei mir halt weder auf der Arbeit noch zu Hause auch nur ansatzweise.

UNFASSBAR

Stehe in der Schlange beim Bäcker. Da legt mir auf jemand von hinten die Hand auf die Schulter. Ich drehe mich um und sehe: Die Hand gehört zu einem Mann ohne Maske, den ich nicht kenne. Er ignoriert meinen entsetzten Blick und fragt: „Wovor hast du denn Angst? Corona? Das gibts doch eh nicht! Alles von der Regierung erfunden, um uns klein zuhalten. Ist doch eigentlich nur ’ne Erkältung. Und weil unser Widerstand erfolgreich war, brauchst du jetzt keine Maske mehr zu tragen. Jetzt sind endlich wieder frei.“

UNFASSBAR

Während er auf mich einredet, hat er weiter die Hand auf meiner Schulter. Wer mich kennt weiß, dass ich so gar nicht der Typ für sinnfreie Berührungen bin. Schon gar absolut überhaupt nicht, wenn es um wildfremde Menschen geht. Und überhaupt – selbst wenn ich da keine ausgeprägte Abneigung dagegen hätte: Seit wann ist es denn bitte OK, Menschen, die man nicht kennt, einfach anzufassen? Das geht gar nicht. Wirklich nicht. Menschen sind unanfassbar.

UNFASSBAR

Dazu ist es natürlich selten dämlich, so ein Zeug zu erzählen. Weil es Verschwörungsmist ist, wissenschaftliche Tatsachen ignoriert und den eigenen merkwürdigen Freiheitsbegriff einfach über das Wohl aller, der Gesellschaft etc. setzt. Es ist aber noch dämlicher, mir so etwas zu erzählen, der gerade vom Arzt kommt, seit zwei Monaten an den Corona-Auswirkungen leidet und dabei kein Ende in Sicht ist. Der echt einige Menschen kennt, denen es ähnlich oder sogar noch schlimmer geht. Dessen Arzt schätzt, dass jeder zehnte Infizierte, den er behandelt, monatelange Folgen zu tragen hat. Nebenbei bemerkt, ist es gar nicht so unwahrscheinlich eine dieser Personen zu erwischen bei einer Inzidenz von über 1.000 seit Monaten.

UNFASSBAR

Ich bin so erschrocken, peinlich berührt, stinkwütend und getroffen, dass mir ein: „Wenn du nicht sofort deine Hand da wegnimmst!“, entfährt. Leise, kalt und scharf hört sich meine Stimme an. Eigentlich bin ich gar nicht der Typ für Gewalttätigkeiten oder Drohungen, aber das kommt gerade einfach so aus mir heraus. Ich bin froh, dass ich anscheinend bedrohlich genug geklungen habe, der Mann seine Hand zurückzieht, etwas Abstand zwischen uns herstellt und ruhig ist. Hätte nämlich gar nicht gewusst, was ich weiter hätte sagen oder tun sollen, wenn er das nicht getan hätte. Unfassbar, was so eine kleine Situation in mir alles aufwühlt und anrührt. Da merke ich noch mal neu, wie sehr mich diese seit Wochen anhaltende Situation belastet und fertig macht.

UNFASSBAR

Also die Damen und Herren Verschwörungsgläubige und Maskengegner: Ich muss – weil wir in einer Demokratie leben – wohl oder übel zulassen, dass ihr euch lieber in Wahnwelten verbarrikadiert, anstatt auf Vernunft und Wissenschaft zu hören oder sachlichen Diskussionen irgendwie zugänglich zu sein. Ich muss zulassen, dass ihr damit unsere Gesellschaft, Menschen, die mir wichtig sind und Sohn 02, der Hochrisikopatient ist, gefährdet (und euch das auch noch egal ist).

Aber ich muss nicht zulassen, dass ihr mich mit eurem Mist unwidersprochen vollquatschen dürft. Und erst recht nicht, dass ihr mich dabei einfach anpackt.

UNFASSBAR

, dass ich das schreiben muss:
Ich trage diese Maske nicht freiwillig (weil ich es schön finde, Masken schon immer modisch fand und es so einen Spaß macht – genauso wenig wie ich andere Maßnahmen freiwillig mittrage). Ich trage Maske, weil wir Pandemie haben, täglich Menschen an diesem Virus sterben, mir die Gesundheit meiner Mitmenschen und natürlich auch meine etwas bedeuten und es einfach notwendig ist.

Puh – das musste mal raus.

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